Holzwurm Nr. 58 – Jedes Haus in der Schweiz könnte autark werden

«Jedes Haus in der Schweiz könnte autark werden»

Nicht nur in Krisenzeiten setzen viele Eigenheimbesitzer auf eine unabhängige Versorgung. Der Trend geht zu mehr Autarkie und energetischer Unabhängigkeit. Immer mehr Gebäude produzieren einen Teil der Energie, die in ihrem Innern verbraucht wird, selbst. Ganz ohne Strom aus dem Netz kommen aber die wenigsten aus. Für mehr Nachhaltigkeit ist eine komplette Autarkie auch gar nicht nötig. Eine Studie der ETH Zürich kommt zum Schluss: Komplette Stromautarkie für EFH und MFH könnte teuer werden. Lesen Sie mehr darüber in diesem Newsletter «Holzwurm».

Ihr Nik Stuber

Nachhaltigkeit benötigt keine absolute Autarkie

Bis 2050 will die Schweiz netto null Emissionen verursachen, den Atomausstieg hat sie bis 2034 beschlossen. Das kann nur durch eine Abkehr von fossilen Brennstoffen gelingen. Ist es theoretisch möglich, dass künftig Haushalte ihren gesamten Strombedarf, inklusive Heizen und Aufladen von Elektrofahrzeugen, mit Photovoltaik-Anlagen selbst decken? Das könnte bis 2050 theoretisch Realität werden. Schweizer Ein- und Mehrfamilienhäuser könnten dann genügend Strom produzieren, um ihren Eigenbedarf vollständig zu decken. Nur: je nachdem kann das teuer werden. Zu dieser Erkenntnis kommen Ursin Gstöhl und Stefan Pfenninger, von der ETH Zürich, in ihrer Studie. Es ist die erste Studie, welche die Bedingungen von energieautarken Haushalten systematisch und in grossem Massstab prüft.

Vollständige Elektrifizierung der Haushalte notwendig
Die Schweiz hat das Pariser Klimaabkommen unterschrieben, dessen Ziel es ist, eine globale Temperaturerhöhung von 2 Grad Celsius, im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten, nicht zu überschreiten. Darüber hinaus will die Regierung bis 2050 unterm Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen. Der Atomausstieg soll bis 2034 vollzogen werden. Um die Energieversorgung im Jahr 2050 trotzdem zu gewährleisten, ist die vollständige Elektrifizierung der Haushalte nötig. Das heisst, statt mit einer Ölheizung würde das Haus zum Beispiel elektrisch mit einer Wärmepumpe beheizt. Strom würde auch das Wasser erhitzen und die Fahrzeuge antreiben. Da Wind- und Wasserkraft in der Schweiz nur bedingt ausgebaut werden können, setzen die Autoren auf Photovoltaik.

In der Stromspeicherung liegt ein grosses Hindernis
Damit die Elektrifizierung funktioniert, bräuchte jedes Haus einen eigenen Energiespeicher, weil auch nachts, und bei längeren Perioden ohne Sonnenschein, Strom fliessen soll. Sowohl Lithium-Ionen-Batterien für die kurzfristige Speicherung als auch langfristige Wasserstoffspeicher kämen zum Einsatz. Beim Wasserstoffspeicher wird überschüssige elektrische Energie dazu verwendet, Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten. Der Wasserstoff wird gelagert und bei Bedarf mit einer Brennstoffzelle wieder in Strom umgewandelt. In der Speicherung liegt daher auch ein grosses Hindernis: Bis anhin sind die Speicherkosten für Solarstrom hoch. Die Autoren berechneten, welche Häuser zu welchem Preis den prognostizierten Energiebedarf von 2050 decken könnten. In den Energiebedarf haben sie auch die wachsende Elektromobilität eingerechnet. Elektroautos könnten also in diesem Szenario zu Hause regelmässig aufgeladen werden.

Umsetzung am leichtesten bei Einfamilienhäusern
Am leichtesten wäre die Umsetzung bei Einfamilienhäusern, denn Platz für Photovoltaik-Module ist genügend vorhanden. Bei Mehrfamilienhäusern ist der Energiebedarf pro Person zwar leicht geringer, die zur Verfügung stehende Fläche allerdings auch. Die Photovoltaik-Technologie müsste noch effizienter werden, um auch für diese Gebäude genügend Strom zur vollen Selbstversorgung bereitstellen zu können. Bei Wohnblöcken mit mehr als fünf Stockwerken und 20 Bewohnern ist eine autarke Energieversorgung kaum mehr möglich. In ihrem Szenario gehen die Autoren davon aus, dass 70 bis 100 % der Dach- und Fassadenfläche für Photovoltaik genutzt werden. Bezieht man die Elektromobilität ein, würde es zudem eine Rolle spielen, wo man wohnt. Auf dem Land werden Autos öfter und für längere Fahrten genutzt als in der Stadt und müssten daher mit mehr Strom versorgt werden.

Nahezu, aber nicht komplett, energieautark wohnt es sich am günstigsten
Am günstigsten sei es, den Haushalt vollständig zu elektrifizieren und mit Solaranlagen auszustatten, dabei aber am öffentlichen Energieversorgungsnetz angeschlossen zu bleiben. Das werde voraussichtlich weniger kosten, als zum Heizen und Autofahren weiterhin auf fossile Brennstoffe zu setzen. Denn diese Preise werden ansteigen, so nehmen die Forscher an. Doch selbst wenn diese Preissteigerungen niedriger ausfallen als erwartet, werden alternative Energieträger künftig finanziell mit ihnen mithalten können. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Haushalt vollumfänglich unabhängig vom Energieversorgungsnetz sein soll. Denn vor allem die benötigten Stromspeicher treiben die Kosten dafür in die Höhe – und dies führt zu höheren Kosten als wenn fossile Brennstoffe genutzt werden: Für ein Einfamilienhaus mit vier Bewohnern würde eine solche Umstellung pro Person zwischen 33000 und 48000 Schweizer Franken kosten.

Nachhaltigkeit benötigt keine absolute Autarkie
Absolut autarke Häuser sind also kostspielig. Doch autark muss man gar nicht werden, um nachhaltiger zu sein. «Eine hundertprozentige Selbstversorgung ist weniger wichtig als der Ausbau der Solarkraft und die Elektrifizierung an sich», sagt Stefan Pfenninger, Oberassistent an der Professur für Klimapolitik der ETH Zürich. Ein Übergang vom jetzigen Zustand hin zu landesweit elektrisch eigenständigen Häusern sei, laut Pfenninger, daher schon aus Kostengründen nicht zu erwarten. Die Nutzung verfügbarer Gebäudefläche für Photovoltaik-Module sei hingegen sehr wohl erstrebenswert. Die Wissenschaftler stützten ihre Analyse auf bereits verfügbare Daten und Kostenstudien. Sie bauten daraus 16 Fälle, die sie in vier Punkten unterteilen konnten: in Haushaltstyp, in Gebäudeart, in Energiebedarf und in Gebrauch des elektrischen Fahrzeugs. Dies taten sie auf monatlicher Basis, da die Verfügbarkeit von Sonnenenergie saisonal variiert. Wie es mit dem Energiemarkt in der Schweiz tatsächlich weitergehen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Je nach Kostenentwicklung der fossilen Treibstoffe und des Fortschritts bei Stromspeichern, könnte sich die Kostenrechnung in Zukunft durchaus noch ändern. Dabei werden auch politische Regulierungen und Anreize einen Einfluss haben.

Autarkie ist bei allen Arten von Häusern möglich – sowohl bei Mehr- als auch Einfamlienhäusern. Das Bild oben zeigt das Mehrfamilienhaus Orangerie in Belp. Das Projekt wurde im GEAK-A-Standard realisiert – mit einem maximalen Anteil an Holz und einer dezentralen Warmwasseraufbereitung über die Lüftung (Swissframe). Die Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert im Sommer mehr Strom als die 5 Wohnungen im Block verbrauchen. Die Nutzung erfolgt zudem im Zusammenschuss zum Eigenverbrauch. Die eingesetzte «Smart Home»-Technologie unterstützt die ökologische Nachhaltigkeit durch modernste Technik und bietet gleichzeitig einen Mehrwert an Komfort – wie etwa durch die licht- und temperatursensibilisierten Storen oder die sich selbst regulierende Bodenheizung.

Bilder: stuberholz, istockphoto.ch